Tag 16
Heute wäre unter normalen Umständen der Eröffnungstag für die diesjährige Sommersaison gewesen. Meine Frau und Ich hätten uns schick gemacht, hätten noch die allerletzten Handgriffe getätigt, um die Hotel-Räumlichkeiten richtig einladend wirken zu lassen und die Mitarbeiter hätten in den Zimmern, der Küche und dem Keller schon alles für den Gäste-Service bereitgestellt Wir wären mit Sicherheit richtig gut vorbereitet gewesen.
Tja, nicht so in diesem Jahr!
Statt im Hotel zu werken haben wir heute einen längeren (sehr gemächlichen) Spaziergang im eigenen Garten unternommen. Im Kreis gelaufen. Sie kennen das sicher aus Gefängnis-Filmen, wenn die Inhaftierten im Hof gelegentlich Luft schnappen dürfen. Ich selbst kann mich noch an meine Zeit als Rechtspraktikant in Wien erinnern, als ich den Knastbrüdern gelegentlich beim erzwungenen Walken zusehen konnte. Damals war ich noch jung und die eigene Phantasie kombiniert mit den vielen aus amerikanischen Action-Filmen geprägten Kino-Erinnerungen ließ ein spannungsgeladenes Kribbeln aufkommen, wenn man die Sträflinge beobachtete. Die körperlichen Reaktionen heute Nachmittag fielen - immer vom Standpunkt des cineastischen Erregungsfaktors aus gesehen - maximal unter die Kategorie Dokumentarfilm über die Imkerkultur in der Südsteiermark.
Vor bedrohlichen Zuchthäuslern mussten wir uns heute natürlich nicht fürchten. Auch sind wir wissentlich keinen gefährlichen Viren begegnet. Dafür aber unseren Nachbarn mit denen wir über die Hecke hinweg talkten. Der Dialog gestaltete sich zwar etwas schwierig, weil die Mindestentfernung zwischen fremden Personen laut entsprechendem italienischen Dekret mittlerweile auf drei Meter ausgedehnt worden ist und unser Nachbar über ein schlecht funktionierendes Hörgerät verfügt, aber in Zeiten wie diesen muss man sich einfach flexibel zeigen. Zumindest wurden meine Stimmbänder heute etwas beansprucht. Man beginnt bescheiden zu werden!