Mager sein, Hunger haben, Mailand fahren…
Ich muss Ihnen dringend was erzählen. Bin mir sicher es wird Sie interessieren. Und wenn es Sie wider Erwarten nicht begeistern sollte, dann wird es Sie zumindest amüsieren. Ist ja auch nicht so schlecht jetzt kurz vor Weihnachten, wo alle so unglaublich besinnlich sind oder deprimiert, oder einfach nur erkältet. Also dann, ich kann mich nicht mehr zurückhalten, ich erzähle es jetzt, okay?
Vor einiger Zeit hatte ich beruflich in Mailand zu tun, der Stadt der Mode, des Designs, des Lifestyles, der Stadt ,in der so ziemlich jeder mit den schönen, noch schöneren, ach was allerschönsten Dingen zu tun hat…ob er will oder nicht.
Da gibt es die mit den langen Beinen, den durchtrainierten Oberkörpern, von Kopf bis Fuß in edle Stoffe gehüllt. Und es gibt diejenigen, die die Preisschilder in den Auslagen von Armani, Gucci, Etro und Co. von draußen betrachten und nach einem Blick auf ihren Gehaltszettel zum Schluss kommen auch in Zukunft fernab dieser Realität existieren zu müssen. Diese Menschen haben dann schreckgeweitete Augen und bewegen sich gramgebeugt durch die Innenstadt. (Serien-Tipp dazu: Der Zombie-Mehrteiler ,,Walking dead“)
Von zweitgenannter Kategorie zu erzählen wäre jetzt langweilig und in diesem naturgemäß fröhlichen Blog unangebracht, also berichte ich jetzt von der Begegnung unheimlicher Art mit ersterem Menschen-Typus.
Beim Mittagessen (hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass ich mich in Begleitung meiner Frau befand?) in einem der wunderschönen Innenhöfe nahe via Montenapoleone und via della Spiga, wo der Mode-Bär bekanntermaßen so richtig steppt, bot sich uns ein phantastisches Bild:
Verschiedene Szenarien, unterschiedliche Darsteller, hoher Unterhaltungswert.
Jedes nur denkbare Klischee dieser Welt wurde dort zur Realität. Das Bedürfnis Theater-Kabarett oder Kinobesuche zu tätigen minimierte sich nach dem kurzen aber intensiven Erlebnis übrigens für einige Wochen.
Unmittelbar neben uns saß ein russisches Ehepaar, Er: Modell wiederauferstandener Nurejew, nur in heterosexuell, Sie: Modell Botox-Dealerin in der Rotlichtszene von Moskau. Starrer Blick, bewegungslose Miene (wohl zu viel aus der eigenen Medikamenten-Schatulle genascht, was…?) nach außen hin freudloses Dasein, trotz Platin-Karte. Menüwahl: Zwei Salatblätter zu je 50 Euro, dazu zwei Glas Champagner.
Ein Tisch weiter, man höre und staune, saßen die Mode-Designer Dolce und Gabbana. Wir erkannten Sie an ihren Tätowierungen und den pedikürten Füßen. Selbige steckten übrigens in Birkenstocks, dem Schuh-Heuler der diesjährigen Saison. Keine Lüge, wirklich wahr: BIRKENSTOCKS!!! Es galt contenance zu wahren, außerdem wollte ich in so prominenter Gesellschaft nicht weinen. Zum Lunch wählten die beiden schlanken Herren zwei Salatblätter zu je 50 Euro mit je zwei Glas Wasser ohne Kohlensäure.
Am dritten Tisch saßen Mailänder desperate housewives mit gaaaaanz vielen Einkaufstüten. Sie waren nicht mehr so jung, dafür sehr gestylt und hatten offensichtlich bei der Wahl ihrer Männer - und deren Bankkonten - die richtige Entscheidung getroffen. Das Mittagessen bestand aus vier Salatblättern zu, ja richtig, 50 Euro. Dazu wurden vier Cola light kredenzt.
Größeren Unterhaltungswert hatte da schon der dunkelhäutige Fußballer des AC Mailand, der allein mit seiner dicken Goldkette vor einem Salatblatt (50 Euro) saß, lautstarkem Gangster-Rap lauschte und sein Mineralwasser mit Kohlensäure schlürfte. Die Rechnung wurde übrigens mit einem 500-Euro Schein beglichen. Seiner ausgebeulten Buggy-Hosentasche zufolge hatte er mehrere davon.
Nach dem ausgiebigen Mittags-Mahl bestehend aus zwei Salatblätter (man will ja nicht auffallen, außerdem gilt es schlank zu bleiben) und zwei Glas Prosecco (man gönnt sich ja sonst nichts) diskutierten meine Frau und ich noch lange:
Die Modebranche wäre doch richtig toll! Alles so schön und lässig und unglaublich tiefgründig. Wie geschaffen für uns!
Wenn nur das mit den Salatblättern nicht wäre…
Während der Hunger-Attacken drehte sich folgende Musik in unsere Gehirn-Windungen:
The Verve: „A northern soul”
Julian & der Fux: ,,Vanille“
Grimes: „Visions“
Paul Dimmer Band: „Wenn alle Stricke reißen“
Lcd Soundsystem: ,,London Sessions“